Ursachen: Wie entsteht eine Hämochromatose?

Autor:  Dipl. med. Bernhard Eisenreich, Zuletzt geändert: 21.08.2024 https://kinderblutkrankheiten.de/doi/e277220

Eisenüberladung und deren Folgen entstehen aufgrund einer erhöhten Eisenaufnahme im oberen Dünndarm. Der menschliche Körper hat keine eigenen Mechanismen, die dabei helfen, überschüssiges Eisen auszuscheiden. In der Folge kommt es zu Eisenablagerungen und dadurch zu Gewebeschäden in zahlreichen Organen (siehe „Krankheitszeichen“).

Warum wird zu viel Eisen aus der Nahrung aufgenommen?

Der gesamte Eisenstoffwechsel im menschlichen Organismus wird maßgeblich durch Hepcidin geregelt. Erst seine Entdeckung erweiterte nicht nur das Verständnis des Eisenstoffwechsels, sondern deckte auch die krankmachenden Prozesse auf, die der Hämochromatose zugrunde liegen.

Hepcidin ist ein kleines EiweißHormon. Es wird von der Leber produziert und steuert die Menge des im Körper zirkulierenden Eisens. Seine Wirkung entfaltet es durch das Zusammenwirken mit Ferroportin (aus dem Lateinischen ferrum =Eisen und portare = tragen, bringen). Ferroportin ist der einzige Zellmembrantransporter, welcher Eisen aus der Zelle in die Zirkulation transportiert, so dass die Menge an zirkulierendem Eisen durch Ferroportin reguliert wird.

Hepcidin hemmt die Aufnahme von Nahrungseisen im Zwölffingerdarm und seine Freisetzung durch Milz-Makrophagen, die am Recycling von Eisen aus den roten Blutkörperchen beteiligt sind. molekulare Defekte, die einen Hepcidin-Mangel verursachen, führen zu einer unkontrollierten Eisenaufnahme aus dem Darm mit fortschreitender Eisenansammlung in den Geweben, die schließlich zur Hämochromatose führt.

In den meisten Fällen führen Gendefekte zu einer unzureichenden Produktion von Hepcidin. Seltener hingegen liegt eine unzureichende Reaktion von Ferroportin auf Hepcidin vor, eine sogenannte Ferroportin-Resistenz gegenüber Hepcidin. In beiden Fällen wird aus der Zelle zu viel Eisen abgegeben.

Genetische Ursachen der primären Eisenüberladung (angeborene Hämochromatose)

Primäre Formen der Eisenüberladung beruhen auf genetisch bedingten Störungen im Eisenstoffwechsel. Die angeborene (hereditäre) Hämochromatose wird überwiegend autosomal-rezessiv vererbt. Das bedeutet, dass die Krankheit nur dann auftritt, wenn die Mutation sowohl von der Mutter als auch vom Vater weitervererbt wurde. Gibt nur ein Elternteil das Merkmal weiter, so handelt es sich bei den Nachkommen um so genannte Merkmalsträger.

Hereditäre Hämochromatose Typ 1

Die Erkrankung beruht auf Defekten (Mutationen) des HFE-Gens. Dieses Gen liegt auf dem Chromosom 6. „HFE“ ist die Abkürzung für „high Fe“ („high: englisch für „hoch/hohe Konzentration; „Fe“: chemisches Symbol für „Ferrum“- lateinisch für „Eisen“).

Das HFE-Gen enthält bestimmte genetische Informationen, um das sogenannte „Hereditäre-Hämochromatose-Protein“ zu produzieren. Dieses Protein reguliert die Eisenaufnahme in die Körperzellen, indem es die Zusammenarbeit zwischen Transporteisen („Transferrin“) und dem Eisenrezeptor in menschlichen Zellen („Transferrinrezeptor, TfR1“) kontrolliert. Bei einer Mutation des HFE-Gens wird ein abnormales HFE-Protein gebildet, welches nicht richtig funktioniert.

Bei den Betroffenen gerät daraufhin die Eisenaufnahme im Dünndarm außer Kontrolle, was dazu führt, dass zu viel Eisen in den Organismus gelangt. Allerdings sind die genauen Einzelheiten zu den Vorgängen, über die HFE-Gendefekte eine Eisenüberladung verursachen, noch nicht endgültig geklärt. Man geht derzeit bei etwa 10 % der Patienten mit Hämochromatose davon aus, dass es noch weitere auslösende Faktoren für die Erkrankung gibt.

Die Hämochromatose vom Typ 1, die sich bei Erwachsenen ausprägen kann, wenn diese zwei Kopien das veränderten HFE-Gens tragen (jedes Gen ist doppelt vorhanden, siehe DNA), bleibt bei Kindern und Jugendlichen aufgrund deren erhöhten Eisenbedarfs vorerst ohne Symptome und verursacht während der ersten beiden Lebensjahrzehnte keine Organschäden. Aus diesem Grund ist eine Gentestung laut Gengesetz auf diese Merkmale bei Kindern und Jugendlichen nicht angezeigt und vom Gesetzgeber nur in Sondersituationen gestattet (Stichwort „Recht auf Nichtwissen“ bei Genfehlern). Sind die Betroffenen 18 Jahre alt, können sie sich dann genetisch testen lassen.

Hereditäre Hämochromatose Typ 2

Im Gegensatz zu der bei Erwachsenen häufigen Hämochromatose, Typ 1, prägt sich die juvenile Hämochromatose (juvenil bedeutet „heranwachsend, jugendlich“) im Kindes- und Jugendalter aus. Die hereditäre Hämochromatose Typ 2 ist eine seltene autosomal-rezessive Erkrankung, die auf Mutationen im HJV-Gen (beeinflusst die Transkription von DNA zur RNA des Proteins Hemojuvelin) oder im HAMP-Gen (kodiert direkt Hepcidin) basiert. Die juvenile Hämochromatose kann unerkannt zu lebensbedrohlichen Organschäden wie zum Beispiel Herzinsuffizienz führen. Genetische Erkrankungen, die schon im Kindes- und Jugendalter eine relevante Eisenüberladung verursachen, sind selten (Tabelle 1).

Hereditäre Hämochromatose Typ 3

Mutationen im Transferrin-Rezeptor 2 (TFR2) -Gen, das für ein Eiweiß kodiert, das die Transferrinsättigung kontrolliert, können eine seltene autosomal-rezessiv Form der Hämochromatose hervorrufen. Diese Form kann auch schon im jungen Erwachsenenalter symptomatisch werden.

Hereditäre Hämochromatose Typ 4

Die hereditäre Hämochromatose Typ 4 (Ferroportinkrankheit) tritt vorwiegend bei Personen mit südeuropäischer Abstammung auf. Sie ist auf eine autosomal-dominante Mutation im SLC40A1-Gen zurückzuführen und beeinflusst die Bindungsfähigkeit von Ferroportin an Hepcidin.

Ferroportin (FPN) ist ein Eisen-Transporter, der über das Hormon Hepcidin herunterreguliert wird. Die Erkrankung wird in 2 Subtypen eingeteilt:

  1. die meist asymptomatische Ferroportin-Erkrankung Typ A, die oftmals erst im vorangeschrittenen Alter auffällt und ohne Gewebsschädigung und weitere Komplikationen verläuft
  2. der seltenere Typ B, der bereits Kinder betreffen kann und klinisch der klassischen Form Hämochromatose Typ 1 ähnelt.

Neugeborenen- (neonatale) Hämochromatose

Die häufigste Ursache des Leberversagens beim Ungeborenen beziehungsweise Neugeborenen sind Antikörper der Mutter, die auf das Kind übertragen werden und sich gegen bestimmte Eiweiße auf den Leberzellen des Fetus/Neugeborenen richten. Dadurch entsteht eine schwere Entzündung der Leber (Hepatitis) und Rückstau von Galleflüssigkeit, die schon vor (in utero) oder kurz nach der Geburt zu Leberversagen und Tod führen kann. Eine Folge des Leberversagens ist auch eine Eisenüberladung, die der Krankheit den Namen gegeben hat. Wie es zur Bildung dieser Antikörper der Mutter kommt, ist derzeit noch Gegenstand der Forschung. Wichtig ist, dass durch geeignete Maßnahmen das Risiko, dass dieselbe Krankheit auch bei nachfolgenden Schwangerschaften auftritt, verringert werden kann. (siehe Kapitel „Therapie“)

Eine Übersicht über die Genetischen Ursachen der primären Eisenüberladung (angeborene Hämochromatose) zeigt Tabelle 1

Erkrankung
*Beginn der Symptome
Betroffenes Chromosom: Mutation
*Vererbungsgang
Nicht funktionierendes Eiweiß
*resultierende Störung im Eisenstoffwechsel
Juvenile Hämochromatose (Hämochromatose Typ 2)
*Kindes- und Jugendalter sowie Adoleszenten und junge Erwachsene) (< 30. Lebensjahr)
- Chromosom 1 (Typ 2A): Hämojuvelin-Gen
- Chromosom 19 (Typ 2B): Hepcidin-Gen

*autosomal-rezessiv
Hämojuvelin
Hepcidin
*übermäßige Aufnahme von Eisen aus dem Darm und vermehrte Eisenablagerungen in Organen (besonders Leber, Herz und Hormondrüsen)
Hämochromatose Typ 3 *
*Adoleszenz und Erwachsenenalter
Chromosom 7: TrfR-Gen
*autosomal-rezessiv
Transferrinrezeptor
*übermäßige Aufnahme von Eisen aus dem Darm und vermehrte Eisenablagerungen in Organen (besonders Leber, Herz und Hormondrüsen)
Hämochromatose Typ 4 (so genannte Ferroportin-Krankheit)
*alle Altersgruppen
(B-Form besonders im Kindesalter)
Chromosom 2: SLC11A3-Gen
*autosomal-dominant
Ferroportin
*A-Form: Eisen kann nicht aus Zellen heraustransportiert werden - übermäßige Eisenspeicherung im Inneren der Körperzellen
B-Form: Zellen reagieren nicht auf Hepcidin – übermäßige Eisenaufnahme und Speicherung in Organen